Ich war in Utopia!

Vorige Woche war ich in Utopia. Nein, nicht in Utopia in Texas und nicht in Florida, nicht in Australien und auch nicht auf dem Mars. Eigentlich seltsam, dass es Orte gibt, die "Nicht-Örtlichkeit" heißen. Ich war auch nicht an einem Nicht-Ort, sondern an einem sehr schönen Ort, doch dort wurde über Utopien gesprochen, nachgedacht und Musik gemacht. Ich war im Bildungshaus St.Arbogast in Götzis, Vorarlberg bei den Tagen der Utopie. Das Bildungshaus, das nur einen kurzen Fußweg oberhalb des Ortes aber inmitten von Wiesen, Wäldern und Bergen liegt, ist der geeignete Ort, um über Zukünfte und neue Wege nachzudenken.
Eine Utopie ist laut Wikipedia "eine Wunschvorstellung, die sich dadurch auszeichnet, dass sie zwar denkbar und in vielen Fällen wünschenswert, vor dem jeweiligen historisch-kulturellen Hintergrund jedoch in vielen Fällen noch nicht realisiert worden ist. (...) Im Sprachgebrauch wird Utopie auch als Synonym für einen von der jeweils vorherrschenden Gesellschaft vorwiegend als unausführbar betrachteten Plan, ein Konzept und eine Vision, benutzt."

Der Kommunikationsberater Hans-Joachim Gögl und Josef Kittinger, Leiter des Bildungshauses, haben die Tage der Utopie 2003 ins Leben gerufen und laden seither alle zwei Jahre Visonäre und Vordenker zu Impulsreferaten und Dialogen ein, die zeigen, dass eine andere Welt möglich ist. Utopisches Denken dient dabei als Werkzeug zur Entwicklung.

Das Format der Tage der Utopie ist dabei sehr hilfreich: Am ersten Abend beginnen sie mit einem Referat, am nächsten Vormittag gibt es dazu einen Dialog zwischen Referenten und Teilnehmerinnen und Teilnehmern im kleineren Kreis. Der Nachmittag ist frei zum Denken, Reden, Spazieren gehen, Schlafen, Kaffee trinken, Lesen – was auch immer. Am Abend folgt der nächste Vortrag und so weiter – eine ganze Woche lang. Vorträge und Dialoge können auch einzeln besucht werden, wer den vollen Genuss haben möchte, bleibt jedoch die ganze Woche. Das Bildungshaus bietet dafür einfache aber angenehme Zimmer, einen schönen Garten und Innenhof, ein gemütliches Café, eine stille Leseecke und volle Verpflegung mit Slow Food. Zu Spaziergängen locken viele Wege auf die umliegenden Hügel, zur Kneippanlage, zur Burgruine, in den Ort oder in die beeindruckende Örflaschlucht. Leichte Wanderschuhe sind dabei zu empfehlen, denn rund um St.Arbogast geht es überall bergauf und bergab.

Die Vorträge und Dialogrunden stammten heuer von Christian Felber und Lisa Muhr von Göttin des Glücks über Gemeinwohlökonomie, Claudine Nierth von Mehr Demokratie über direkte Demokratie, Gunter Pauli über Blue Economy, Tilman Wörtz über das Projekt Peace Counts, Konrad Hummel über urbanes Leben, Christof Brockhoff und Stephan Schweigert über Benefactum und ihre zahlreichen Gemeinwohl-Projekte sowie Ina Praetorius über das gute Leben. Besonders beeindruckend war der Vortrag von Konrad Hummel. Wie der Mann reden kann! Überzeugen kann man sich davon über die Website der Tage der Utopie, dort sind alle Vorträge nachzuhören (stark komprimierter Mitschnitt als Stream), außerdem gibt es zu fünf Tagen der Utopie einen Textband, den man bestellen kann.

Für die musikalische Einstimmung und den Ausklang sorgte Frances-Marie Uitti, die ihrem 300 Jahre alten Cello noch nie gehörte Klänge entlockt – teilweise mit zwei Bögen gleichzeitig und eigens für die Tage der Utopie komponiert bzw. improvisiert. Uitti hat in dieser Woche außerdem gemeinsam mit dem Musiker und Tontechniker Robert Bernhard Musik für eine CD aufgenommen, die in Kürze über die Website der Tage der Utopie erhältlich sein wird.

Bei allen Vorträgen wurden belebende und erhebende Ideen vorgestellt und diskutiert, an den darauffolgenden Vormittagen entstanden durch das spezielle Setting des "Generativen Dialogs" neue und sehr persönliche Zugänge zum jeweiligen Thema, tiefe Emotionen und neue Ideen, wie man die Utopie in die Tat umsetzen könnte. In den Pausen, beim Essen und an den Nachmittagen saßen im Café und im Hof stets Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammen, tauschten sich aus und entwarfen erste Ideen für neue Projekte. Noch nie habe ich eine so intensive und anregende Konferenz erlebt, dabei dachte ich immer, die Ars Electronica sei diesbezüglich das Größte. Was die Tage der Utopie ausmacht, ist die besondere Zusammensetzung: die positive und menschenfreundliche Haltung der beiden Kuratoren, die ruhige und angenehme Atmosphäre im Bildungshaus St.Arbogast, der zeitliche und örtliche Freiraum und die Gäste, die vielfältige Erfahrungen, Wissen und Können mitbringen und bereit sind, sich auf die vielfältigen Themen und die anderen Besucher einzulassen.

Die nächsten Tage der Utopie gibt es in der letzten Aprilwoche 2013. Aber bitte nicht weitersagen, sonst ist womöglich schon alles ausgebucht, bis ich mich anmelde...

Kommentare

Sie können einen mitreißen! Ihr Beitrag über "die Tage der Utopie" war so schwungvoll und begeistert; Ich schlage vor, Sie melden sich schon jetzt für den April 2013 an. Sonst sitzen Ihre Leser bereits dort und Sie sitzen in Wien und schreiben einen Beitrag darüber, dass Sie nie wieder Ihre Begeisterung in einem Artikel in vollem Ausmaß preisgeben werden.
Mit Dank
Samia Tadros

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